Niedergang des Handwerks – ist dem tatsächlich so?
Die erste industrielle Revolution ist seit einem Jahrhundert abgeschlossen – Geburtsstunde des Designs und, trotz einiger Gegenbewegungen, der endgültige Niedergang des Handwerks.
Will man zahlreichen Autorinnen und Autoren, die sich mit den Themen Handwerk, Industrialisierung und Design auseinandersetzen, Glauben schenken, besteht kein Zweifel daran. In „Handwerk oder Design“ (Melani Kurz, 2014) schafft es die Autorin den Anschein zu vermitteln, dass sich Design und Handwerk sogar gegenseitig ausschließen und dass das Handwerk mit einsetzender Industrialisierung seine Daseinsberechtigung verloren habe. Dem gilt es hier vehement zu widersprechen.
Veraltete Erkenntnisse und Theorien idealisieren Industrie und Massenproduktion
Erschreckend ist die Tatsache, dass sich viele Erkenntnisse und Theorien (auch anderer Fachliteratur) auf Werke stützen, die im späten 19. und frühen 20. Jhd. entstanden sind. Werke, die möglicherweise zum Zeitpunkt der Entstehung, als aktuell zu bezeichnen waren. Wie zum Beispiel Werner Sombart (Werk „Der moderne Kapitalismus“, 1902), dessen Thesen sich bei genauerer Lektüre als ein Lobgesang auf Industrie und Massenproduktion entpuppt – was aus heutiger Sicht, eher zu hinterfragen wäre und mittlerweile einer etwas verantwortungsvolleren und differenzierten Betrachtungsweise bedarf.
Es ist nur bemerkenswert oder eher bedauerlich, dass sich das traditionell gut organisierte Handwerk ohne weiteres und seit mehr als einem Jahrhundert immer wieder zu Grabe tragen lässt. Was vielleicht dem Umstand geschuldet ist, dass der andauernde Diskurs im Rahmen von Designtheorie, Designgeschichte, Soziologie und Wirtschaftstheorie eine Art Gehirnwäsche unter der Handwerkerschaft bewirkt hat und selbst Innungen und Standesvertretungen die akademische Meinung akzeptieren und in Folge ihrer vermeintlich geringen Bedeutung auf jeglichen Beitrag zur Richtigstellung vieler Theorien verzichtet.
Das Handwerk lebt! Weil es sich – der Zeit gemäß – entwickelt (hat)
Um Abhilfe zu schaffen wird es notwendig sein, den Begriff Handwerk fern jeglicher Sozialromantik zu definieren und im Kontext des 21. Jhd. darzustellen. Denn leider hält sich ein sehr verklärtes Bild vieler Branchen, die laut Gewerbeordnung dem Handwerk zuzuordnen sind.
Egal ob es um die Produktion von Maßschuhen, Möbel, Mode oder Schmuck geht. Sobald der Fokus auf das Handwerkliche fällt, werden in den meisten Köpfen Bilder wach, die aus Grimms Märchen stammen könnten, mit der Realität aber schon längst nichts mehr tun haben. Wer beim Betreten einer Schneiderei auf das Tapfere Schneiderlein zu treffen hofft, wird sich schwertun, einen eleganten Maßanzug oder ein hippes Abendkleid in Auftrag zu geben. In Wahrheit darf aber davon ausgegangen werden, dass auch selbst das Tapfere Schneiderlein der Gebrüder Grimm vom Pariser Chic inspiriert wurde und seine Kunden mit bedarfsangepassten, individuellen und auch modischen Produkten versorgt hat.
Der Meister, die Meisterin als Unternehmer und Unternehmerin
Der Aufgabenbereich der Handwerksmeister und Meisterinnen, die einen lebensfähigen Betrieb mit ein oder zwei Mitarbeitern aufrechterhalten wollen, entfernt sich Mehr und Mehr von der eigentlichen Erzeugung und Produktion. Wenn auch noch so stark im Handwerk verwurzelt, dem gewerblich tätigen Handwerker werden zunehmend Geschäftsführerqualitäten abverlangt.
Es ist eine Gradwanderung zwischen Tradition und Zeitgeist, zwischen maschineller Ressource und definitiver Handarbeit, zwischen Unternehmensführung und allem was dazu gehört und selber in der Werkstatt „Hand anlegen“ und last but not least zwischen Design und Althergebrachten.
Es lebe das Handwerk!